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Vier ERC Starting Grants und ein ERC Proof of Concept Grant für die Universität Wien

07.09.2023

Förderung für Forschungsprojekte zur Blütenevolution, zu Neurowissenschaften, zur DNA-Übertragung, zu Christianisierung in Europa sowie zu Archaeen

Biologin Agnes Dellinger, Neurowissenschafterin Charlotte Grosse Wiesmann, Biotechnologin Irma Querques und Archäologin Mária Vargha erhalten je einen ERC Starting Grant, der jeweils mit rund 1,5 Millionen Euro dotiert ist. Mikrobiologin Christa Schleper erhält außerdem einen ERC Proof of Concept Grant für ihre weiterführende Forschung zu einem bestehenden ERC-Projekt zu Archaeen. Damit wurden insgesamt bereits 123 ERC Grants an die Universität Wien vergeben. Mit dem Programm des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) soll grundlagenorientierte Pionierforschung mit hohem Innovationspotenzial ermöglicht und vorangetrieben werden.

"Ich gratuliere allen Preisträgerinnen zu diesem großartigen Erfolg. Der Disziplinenmix aus Natur- und Geisteswissenschaften unterstreicht wunderbar die Breite hochkarätiger Forschung an der Uni Wien", so Rektor Sebastian Schütze.

Neuer Blickwinkel auf die Evolution von Blütendiversität

Blüten passen sich laufend an unterschiedliche Bestäubergruppen an, die ihren Pollen verteilen. Dieser Prozess gilt als Schlüsselmechanismus der Pflanzendiversifikation und ist in komplexe abiotische Kontexte, wie klimatische Umweltfaktoren, und biotische Kontexte, wie Interaktionen mit anderen Tier- und Pflanzenarten im Ökosystem, eingebettet. Bisher wurden diese Einflussfaktoren noch nicht im Zusammenspiel untersucht. Diese Wissenslücke will die Biologin Agnes Dellinger nun mit ihrem ERC-geförderten Forschungsprojekt MountBuzz schließen, ein wichtiger Schritt in Anbetracht des menschengemachten, globalen Biodiversitätsverlusts. Dabei wird Dellinger eine neue, ökologische Perspektive dafür entwickeln, wie abiotische und biotische Kontexte die Evolution und Funktion von Blütendiversität beeinflussen.

Dellinger und ihr Team untersuchen dazu die große, pantropische Pflanzenfamilie der Melastomataceae, zu der etwa 6.000 Arten zählen, entlang verschiedener Höhenlagen in über den gesamten Globus verteilten tropischen Gebieten in Borneo, Brasilien, Costa Rica und Madagaskar. In den unterschiedlichen Höhenlagen verändern sich auch die biotischen und abiotischen Kontexte, denn mit zunehmender Seehöhe nimmt die Temperatur auf natürliche Weise ab, was auch Veränderungen in der Zusammensetzung der unterschiedlichen Bestäubergruppen mit sich bringt. Neben intensiver Feldarbeit wird das Team unter Einsatz von Methoden des maschinellen Lernens untersuchen, inwieweit Muster in der Evolution von Blütenformen vorhersagbar sind und ob sie konsistent mit gewissen abiotischen oder biotischen Kontexten einhergehen. Ziel der Forschung ist es, zu verstehen, inwieweit gewisse Blütenformen und Bestäuberinteraktionen in gewissen Ökosystemen immer wieder unabhängig voneinander entstanden und erfolgreich sind.

Über Agnes Dellinger

Agnes Dellinger ist Assistenzprofessorin am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien. Das Interesse für Tier-Pflanze-Interaktionen und die tropische Pflanzenfamilie Melastomataceae wurden bereits früh in ihrem Studium während eines Tropenbiologiekurses der Uni Wien in Costa Rica 2010 geweckt. Seither hat sie sich im Zuge ihrer Masterarbeit und Dissertation tiefer in die Bestäubungsbiologie und Evolution der Melastomataceae eingearbeitet und gemeinsam mit Kolleg*innen aus Südamerika zahlreiche Expeditionen in die Nebelwälder Ecuadors, Kolumbiens, Perus und Costa Ricas unternommen. Während ihrer PostDocs-Phase forschte Dellinger zwei Jahre in der Gruppe von Stacey Smith an der University of Boulder Colorado (USA) zum Einfluss von Bestäubern und abiotischen Umweltbedingungen auf die Pflanzendiversifikation. 

Wie das Gehirn verschiedene Versionen der Welt entwirft

Menschen denken nicht nur darüber nach, wie die Welt tatsächlich ist, sondern auch wie sie sein könnte oder wie andere Menschen sie sehen. So können Menschen sich zum Beispiel verschiedene Dinge vorstellen, die in einem schön verpackten Geschenk sein könnten, wissen aber zugleich, dass diese Dinge nicht unbedingt dem wirklichen Inhalt entsprechen. Dies mag kinderleicht erscheinen, ist aber gar keine einfache Aufgabe und muss in der Kindheit erst einmal erworben werden. Um dies zu verstehen, müssen Menschen verschiedene Versionen der Welt im Kopf halten und unterscheiden, welche davon der Wirklichkeit entspricht, welche nur eine Möglichkeit ist oder welche das widerspiegelt, was jemand über die Welt glaubt.

In ihrem ERC-geförderten Projekt "REPRESENT" erforscht die Neurowissenschafterin Charlotte Grosse Wiesmann, wie Kinder die Fähigkeit entwickeln, auf solch abstrakte Art und Weise über die Welt nachzudenken. Mit Hilfe modernster neurowissenschaftlicher Methoden werden Grosse Wiesmann und ihr Team untersuchen, wie verschiedene Möglichkeiten oder Ansichten der Welt im Gehirn parallel zur wirklichen Welt verarbeitet werden und wie sich dies verändert, wenn Kinder lernen über Konzepte wie Möglichkeit oder Glauben nachzudenken. Ziel ist es besser zu verstehen, wie sich die Fähigkeit der Menschen zum abstrakten Denken entwickelt und wie sie im menschlichen Gehirn verwirklicht ist.

Über Charlotte Grosse Wiesmann

Charlotte Grosse Wiesmann forscht im Bereich der kognitiven Neurowissenschaften und beschäftigt sich mit der Frage wie sich charakteristisch menschliche kognitive Fähigkeiten im Kindesalter entwickeln, und wie sie im menschlichen Gehirn umgesetzt werden. Dabei erforscht sie unter anderem die Fähigkeit zur Theory of Mind (d.h. die Fähigkeit die Perspektive und Gedanken anderer zu verstehen), die Entwicklung des Selbstkonzepts und der Sprache, sowie deren Zusammenhang mit dem abstrakten Denken. Charlotte Grosse Wiesmann studierte Physik an der HU Berlin und promovierte anschließend 2017 an der Schnittstelle von Neurowissenschaften und Entwicklungspsychologie am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Nach einem Marie-Skłodowska-Curie-Fellowship an der Universität Kopenhagen (2018-2019), kehrte sie an das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften zurück, um dort seit 2019 die Forschungsgruppe Meilensteine früher kognitiver Entwicklung zu leiten. Ihr ERC-gefördertes Forschungsprojekt plant sie an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien durchzuführen.

Übertragung von DNA mithilfe von Transposons

Die Bearbeitung der Kette genetischer Anweisungen, die uns als Menschen funktionieren lassen, birgt das Potenzial, die Fehler zu korrigieren, die vielen Krankheiten zugrunde liegen, darunter auch erbliche Störungen und Krebs. 

Transposons sind DNA-Abschnitte, die sich von einem Ort zum anderen bewegen und dabei die genetische Information in allen lebenden Organismen verändern und übertragen. Irma Querques von den Max Perutz Labs und ihr Team werden die verschiedenen molekularen Mechanismen untersuchen, mit denen Transposons in der Natur DNA mobilisieren, und diese Erkenntnisse nutzen, um sie zu Werkzeugen für die Genom-Editierung der nächsten Generation weiterzuentwickeln. Ihr vom ERC gefördertes Forschungsprojekt BROADCAST, das mit rund 1,5 Millionen Euro dotiert ist, wird beispiellose Einblicke in die molekulare Maschinerie geben, die Transposons zum "Springen" befähigt, aufzeigen, wie sich Transposons im zellulären Kontext bewegen, und ihr Potenzial für verschiedene biotechnologische Anwendungen erkunden. BROADCAST wird nicht nur wichtige Beiträge zum molekularen Verständnis und zur Nutzung von Transposons in der Natur und in der Technologie leisten, sondern hat langfristig auch das Potenzial, die Grenzen des Genome Editing, der Biotechnologie und der Medizin neu zu definieren.

Über Irma Querques

Irma Querques ist ausgebildete Biotechnologin und promovierte 2018 am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg, wo sie mit Orsolya Barabas an der biochemischen und strukturellen Charakterisierung von eukaryotischen Transposons arbeitete. Bevor sie als Assistenzprofessorin an die Universität Wien kam, absolvierte sie ihre Postdoc-Ausbildung im Labor von Martin Jinek an der Universität Zürich als Empfängerin der FEBS-, EMBO- und Branco-Weiss-Stipendien, um bakterielle CRISPR-assoziierte Transposons zu untersuchen. Im Mai 2023 gründete sie ihr Labor an den Max Perutz Labs, um die molekularen Mechanismen, biologischen Funktionen und die technologische Umnutzung von transposablen Elementen zu untersuchen.

Christianisierung im Mittelalter aus einer neuen Perspektive sehen 

Im Mittelalter wurden Narrative der Christianisierung hauptsächlich auf der Grundlage schriftlicher Berichte und der Stiftungen der höchsten kirchlichen Institutionen konstruiert, wodurch ein Narrativ der weltlichen und kirchlichen Elite entstand. In ihrem mit einem ERC Starting Grant geförderten Forschungsprojekt RELIC bringt die Mediävistin und Archäologin Mária Vargha nun eine ganz neue Perspektive ein. Hauptziel der Studie ist eine vergleichende Untersuchung der Christianisierungsprozesse in Ostmitteleuropa. In ihrem interdisziplinären Ansatz beleuchtet Vargha auch die Christianisierung der einfachen Bevölkerung und bringt damit eine noch nie da gewesene Sichtweise ein. Vargha wird mit Hilfe innovativer Methoden, die sie auf einen großen Datensatz anwendet, eine vergleichende Bewertung archäologischer und historischer Belege anstellen. So will die Wissenschafterin aufzeigen, wie sich Veränderungen in den politischen und kirchlichen Organisationen (auf der obersten Ebene) in den Belegen für die unteren Ebenen der Gesellschaft widerspiegeln, wie unterschiedliche Strategien in verschiedenen politischen Umfeldern funktionierten und welche Rolle lokale Initiativen bei religiösen und politischen Veränderungen gespielt haben könnten.

Sorgfältig ineinandergreifende Handlungen weltlicher und religiöser Führer*innen sind ein zeitloses und weltweites Phänomen, das im Laufe der Geschichte wie auch heute noch zu beobachten ist. Das Verständnis historischer Prozesse aus der Sicht der allgemeinen Bevölkerung ist entscheidend für ein umfassendes Verständnis der politisierten Narrative des Mittelalters. Einige dieser Narrative sind auch heute noch gesellschaftlich besonders relevant. Dazu gehört die Christianisierung, ein historischer Prozess, der häufig mit der "Entstehung Europas" in Verbindung gebracht wird und auch in aktuellen politischen Agenden auftaucht.

Über Mária Vargha

Mária Vargha ist Mediävistin und Archäologin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Sozial- und Religionsgeschichte, Sozial-, Landschafts- und Bestattungsarchäologie sowie die materielle Kultur des Hochmittelalters. Sie promovierte 2019 in Mediävistik an der Central European University. Von 2016 bis 2020 arbeitete sie als Universitätsassistentin am Institut für Geschichte, Digital Humanities, an der Universität Wien und seit 2021 ist sie auch am Institut für Archäologie der Karlsuniversität Prag tätig, wo sie das Projekt "Empowering the Voiceless. Die Rolle der Landbevölkerung bei der Staatsbildung und Christianisierung in Ostmitteleuropa" innehat. Mit ihrem ERC-Projekt wird Vargha an die Universität Wien zurückkehren. 

ERC Proof of Concept für Christa Schleper – Durch Archaeen-Forschung aktuelle Behandlungsstandards revolutionieren

Die Mikrobiologin Christa Schleper von der Universität Wien hat einen ERC Proof of Concept erhalten. Ziel des damit geförderten Forschungsprojekts ArcHealth "Archaea for Human Health" ist die Entwicklung eines grundlegend neuen Produkts, welches aus Archaeen gewonnen wird und das Potential hat, aktuelle Behandlungsstandards für die menschliche Gesundheit zu revolutionieren. Archaeen sind winzige Einzeller und bilden mit den Bakterien die Gruppe der Prokaryoten und zusammen mit den Eukaryoten eine der drei "Domänen des Lebens". Sie zählen zu den ersten, häufigsten und weit verbreitetsten Lebewesen auf der Erde und sind auch ein zentraler Bestandteil des menschlichen Mikrobioms. Ein wesentlicher Vorteil bei Therapeutika auf Archaeen – anstatt auf Bakterien – zu setzen, liegt in ihrer hohen Robustheit, da sie jeglichen Umweltbedingungen und deren Schwankungen trotzen. Dabei haben sie einen geringen Nährstoffbedarf und gleichzeitig ist derzeit kein einziger pathogener Vertreter bekannt. Die Forscher*innen gehen davon aus, dass sich der Stoffwechsel dieser Archaeen positiv auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen auswirkt und somit eine nachhaltige, sichere und verträgliche Behandlung bei unterschiedlichen Anwendungsgebieten ermöglicht.

Die Ideen dieses ERC PoC Grants gingen aus der Forschung hervor, die im Rahmen des ERC Advanced Grants TACKLE durchgeführt wurde. Dieser Grant beschäftigte sich u.a. mit der Entwicklung neuer Verfahren, um Archaeen isolieren zu können, die besonders schwierig im Labor zu züchten sind. Zu diesen gehört auch das Archaeon des menschlichen Mikrobioms, das neu in Laborkultur gebracht werden konnte, und nun auf seine Fähigkeiten studiert wird, als "Probiotikum" die menschliche Gesundheit zu verbessern.

Über Christa Schleper 

Die Mikrobiologin Christa Schleper ist seit Oktober 2007 Professorin an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien. Nach einem Biologiestudium in Aachen und Konstanz promovierte sie am Max-Planck-Institut für Biochemie und setzte ihre Forschung an unterschiedlichen Stationen in Deutschland, USA und Norwegen fort. Ihr Fokus liegt auf der Erforschung der Archaeen, ein Gebiet, auf dem sie Pionierarbeit geleistet hat und das auch in Zukunft eine wertvolle Schlüsselkomponente sein kann in Bezug auf nachhaltige Landwirtschaft und gesundes Leben. Die Wittgensteinpreisträgerin 2022 erhielt 2016 einen ERC Advanced Grant. Sie ist österreichische Wissenschaftsvertreterin im EMBL/EMBC Rat (European Molecular Biology Laboratory/European Molecular Biology Council), Wirkliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Gewähltes Mitglied der American Academy of Microbiology (ASM).

Rückfragehinweis

Mag. Alexandra Frey
Media Relations Manager, Universität Wien
1010 Wien, Universitätsring 1 
T +43-1-4277-175 33
M +43-664-8175675
alexandra.frey@univie.ac.at
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unermüdlich neugierig. Seit 1365.
Die Universität Wien ist eine der ältesten und größten Universitäten Europas und damit die größte Forschungsinstitution und Bildungsstätte Österreichs. Rund 7.500 Wissenschafter*innen arbeiten vernetzt an 20 Fakultäten und Zentren an neuen Lösungen und leisten einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Gesellschaft. Die Universität Wien kooperiert mit Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Forscher*innen, Studierende und Lehrende vereint das Ziel, mit unermüdlicher Neugier Innovationen zu entdecken. In ihrer Lehre mit einer Fächervielfalt von 186 Studien bereitet die Universität Wien jährlich rund 9.300 Absolvent*innen auf ihre Berufslaufbahn vor und regt sie zu kritischem Denken und selbstbestimmtem Handeln an.