Bewertungsboard in Österreich: Sorgen um Zugang zu innovativen Therapien für seltene Erkrankungen
Zeitverzögerungen, fehlende Fachexpertise und Finanzierung gefährden Behandlungen von Betroffenen mit seltenen Erkrankungen. Einbindung von Expertisezentren notwendig.
"Bei Therapieempfehlungen in so speziellen Bereichen, wie sie seltene Krankheiten darstellen, ist eine medizinische Fachexpertise in den Fokus zu stellen. Fehlt sie, ist eine Bewertung substanzlos und es besteht die Gefahr, dass nicht medizinische, sondern ökonomische Erwägungen im Vordergrund stehen.", Mag. Alexander Herzog, Generalsekretär der PHARMIG
Das im vergangenen Jahr per Gesetz beschlossene Bewertungsboard soll den Zugang zu innovativen Therapien im österreichischen Krankenhaussektor vereinheitlichen. Eine genaue Analyse des Gesetzestextes hat lautstarke Kritik aus verschiedenen Fachrichtungen hervorgerufen. Zeitliche Verzögerungen, aber auch das Fehlen an spezifischem Fachwissen lassen befürchten, dass die Versorgung der Patientinnen und Patienten nicht verbessert wird. Gerade was den Bereich seltener Erkrankungen betrifft, wo immer wieder neue Therapien auf den Markt kommen, wäre die Einbindung von Expertisezentren in den Entscheidungsprozess dieses Gremiums wichtig.
Die Summe dieser Bedenken nimmt Alexander Herzog, Generalsekretär der PHARMIG, am heutigen Welttag für seltene Erkrankungen zum Anlass, um zu warnen: „Bei Therapieempfehlungen in so speziellen Bereichen, wie sie seltene Krankheiten darstellen, ist eine medizinische Fachexpertise in den Fokus zu stellen. Fehlt sie, ist eine Bewertung substanzlos und es besteht die Gefahr, dass nicht medizinische, sondern ökonomische Erwägungen im Vordergrund stehen.“
Im Gesetzesentwurf steht, dass lediglich 3 der 25 geplanten Mitglieder des Bewertungsboards aus dem pharmakologischen bzw. medizinischen Bereich stammen sollen. Fachärztinnen oder -ärzte können zwar beigezogen werden, müssen es aber nicht. „Damit nicht genug, wird außerdem die Perspektive der Patientinnen und Patienten im Board vernachlässigt. Vorgesehen ist ein einziges Mitglied der Patientenanwaltschaft, allerdings ohne Stimmrecht“, greift Herzog die Kritik auf, die Ende letzten Jahres in Bezug auf das von Minister Rauch angestoßene Bewertungsboard flächendeckend geübt wurde.
Darüber hinaus könnte der Zugang zu lebenswichtigen Therapien auf Grund von bis zu zusätzlichen fünfmonatigen Bewertungszeiträumen nach der Zulassung und einer bereits vorhandenen Empfehlung auf Basis von Health Technology Assessments (HTAs) verzögert werden. Dieser Zeitraum kann noch dazu ohne Limit ausgedehnt werden. Schließlich fehlen Vorkehrungen einer bundesweit einheitlichen Finanzierung für derartige Therapien, was eine konsistente Behandlung nicht nur in Frage stellt, sondern geradezu gefährdet.
„Die Herausforderung bei seltenen Erkrankungen liegt in der geringen Anzahl von Betroffenen pro Krankheit und dem damit begrenzten Wissen zu diesen Krankheitsbildern. Das macht die Forschung und Entwicklung medizinischer Therapien für diesen Bereich so herausfordernd und bedingt das Bündeln und die internationale Vernetzung dieser Expertise. In den sogenannten Expertisezentren für seltene Erkrankungen sind medizinische Fachexpertinnen und Fachexperten mit dem erforderlichen Wissen tätig, um eine präzise und fachspezifische Beurteilung neuer, spezialisierter Arzneimittel vorzunehmen“, erklärt Herzog.
Expertisezentren für seltene Erkrankungen leisten als hochspezialisierte klinische Einrichtungen einen essenziellen Beitrag zur Behandlung von Betroffenen. Sie fungieren als überregionale, zentrale Anlaufstellen für definierte Gruppen, sind eng miteinander vernetzt und teilen untereinander das erforderliche Wissen über diesen Erkrankungsbereich und darauf basierende Behandlungserfahrungen und -erkenntnisse. Österreich verfügt bundesweit bereits über zahlreiche Einrichtungen, die entweder als assoziierte Zentren oder Vollmitglieder an die 24 sogenannten Europäischen Referenznetzwerke (ERN – European Reference Networks) angebunden sind und ihre Expertise zu seltenen Erkrankungen im Bewertungsboard zur Verfügung stellen würden. Die aktuelle Auflistung aller Zentren ist im Gesundheitsportal abrufbar.
„Eine eindeutige Formulierung im Gesetzestext, die sicherstellt, dass die jeweilige medizinische Fachexpertise bei Therapieentscheidungen die notwendige Grundlage bilden muss, würde für alle Betroffenen Klarheit schaffen und dafür sorgen, dass rasche und richtige Empfehlungen getroffen werden, bevor diese österreichweit Anwendung finden“, hält Herzog mit Bezug auf den wertvollen Beitrag der Expertisezentren fest.
Inwieweit das Bewertungsboard künftig als Barriere oder als Brücke für den Zugang zu Therapien dienen wird, steht im Fokus einer Diskussion von Expertinnen und Experten aus dem Gesundheitsbereich im Rahmen des 15. Rare Diseases Dialog der PHARMIG ACADEMY am 7. Mai 2024. Nähere Informationen dazu sind hier abrufbar.
Über die PHARMIG: Über die PHARMIG: Die PHARMIG ist die freiwillige Interessenvertretung der österreichischen Pharmaindustrie. Derzeit hat der Verband ca. 120 Mitglieder (Stand Februar 2024), die den Medikamenten-Markt zu gut 95 Prozent abdecken. Die PHARMIG und ihre Mitgliedsfirmen stehen für eine bestmögliche Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln im Gesundheitswesen und sichern durch Qualität und Innovation den gesellschaftlichen und medizinischen Fortschritt.
Rückfragen & Kontakt:
PHARMIG - Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs
Peter Richter, BA MA MBA
Head of Communications & PR
+43 664 8860 5264
peter.richter@pharmig.at
www.pharmig.at