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Graz auf dem Prüfstand: Schwachstellen und Wissenslücken beim Thema Wiederbelebung Notwendigkeit und Wirkung regionaler Kampagnen zur Sensibilisierung

02.02.2023

Jede*r Zehnte in Österreich erleidet im Laufe des Lebens einen unerwarteten Herzstillstand. Dabei kann jede*r – unabhängig vom Alter – in diese Situation kommen, wobei nur etwa zehn Prozent ein solches Ereignis überleben. Deswegen setzten sich Studierende der Med Uni Graz das Ziel, die Allgemeinbevölkerung über Wiederbelebungsmaßnahmen aufzuklären, damit mehr Menschen im Ernstfall helfen können, und riefen 2014 die Initiative „Drück Mich!“ der Arbeitsgemeinschaft für Notfallmedizin ins Leben. Mehrere Jahre nach Kampagnenstart wollen Wissenschafter*innen des Universitären Herzzentrums der Med Uni Graz nun Bilanz ziehen und den Wissensstand bzw. den Bedarf nach weiteren Maßnahmen prüfen. Die Erhebung zeigt, dass im Laufe der Zeit zwar mehr Grazer*innen wissen, was in der Situation eines Herzstillstands zu tun ist, der Großteil der Befragten aber nach wie vor ratlos ist. Vor allem hinsichtlich der Anwendung eines Defibrillators besteht erheblicher Aufklärungsbedarf.

Herzstillstand: schnelle Hilfe entscheidend

Trotz zahlreicher Bemühungen zur Verbesserung der Überlebenschancen bei einem außerklinischen Herzstillstand bleibt die Zahl der Überlenden gering. Die Verkürzung der Zeit vom Kollaps bis zum Beginn der Reanimation ist dabei der Faktor und schnelle Hilfe entscheidend. Zeug*innen eines Herzstillstands spielen eine wesentliche Rolle, da die Maßnahmen auch unabhängig von medizinischem Personal durchgeführt werden können und sie die Überlebensraten verdoppeln bis verdreifachen. „Dennoch sind das rasche Erkennen eines Herzstillstands und die Einleitung der erforderlichen Maßnahmen eine Herausforderung, insbesondere in dieser emotional anspruchsvollen Situation“, erklärt Simon Orlob, Mitbegründer von „Drück Mich!“ und Arzt an der Klinischen Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin 2, Med Uni Graz.

Aufklärungsarbeit soll Bürger*innen schulen und Leben retten

Um das Bewusstsein für die lebensrettenden Maßnahmen bei so vielen Bürger*innen wie möglich zu schärfen und die Wiederbelebungsrate durch Lai*innen zu verbessern, wurden in den letzten Jahren auf regionaler und globaler Ebene große Anstrengungen unternommen. Im Frühjahr 2014 führte ein Team von Studierenden der Med Uni Graz Interviews durch, um Kenntnisse über Wiederbelebungsmaßnahmen in der Grazer Bevölkerung zu ermitteln. Auf Grundlage der Ergebnisse entwarfen sie die Aufklärungskampagne „Drück Mich!“ mit dem Fokus, klare und einfache Botschaften, die im Slogan „Herzstillstand. >rufen >drücken >schocken“ zusammengefasst wurden, zu vermitteln. Auch kurze niedrigschwellige Wiederbelebungsschulungen für die Bevölkerung im öffentlichen Raum wurden und werden nach wie vor von Studierenden der Med Uni Graz durchgeführt.

Weniger als ein Fünftel der Befragten kannte alle Wiederbelebungsmaßnahmen

Im Jahr 2018 fand die zweite Befragungsrunde statt, um die Veränderungen im Wissensstand zu eruieren. Die Interviews wurden am Grazer Hauptbahnhof, einem stark frequentierten Ort in Sichtweite eines öffentlich zugänglichen Defibrillators, durchgeführt, eine nahezu ideale Umgebung für die Einbindung der allgemeinen Bevölkerung in ein simuliertes Herzstillstands-Szenario. Insgesamt wurden 784 Personen befragt, 257 zu Beginn der Kampagne und 527 nach vier Jahren. Mit einem fiktiven Herzstillstand konfrontiert, nannten zu Beginn der Kampagne 8,5 % der Befragten spontan Maßnahmen zur vollständigen Wiederbelebung, nach der Kampagne waren es 17,9 %. Ein noch größerer Wissenszuwachs wurde bei minimalen Wiederbelebungsmaßnahmen – also ohne Einsatz eines Defibrillators – festgestellt (34,6 % gegenüber 60,6 %). „Zwar scheint das Wissen in der Bevölkerung zugenommen zu haben, aber es liegt dennoch auf einem zu niedrigen Niveau. Insbesondere bei der Defibrillation besteht noch viel Aufklärungsbedarf“, schildert David Zweiker von der Klinischen Abteilung für Kardiologie der Med Uni Graz die Situation. „Obwohl wir eine hohe Bereitschaft zur Verwendung eines Defibrillators beobachteten und die Befragten in der Lage waren, ihn zu identifizieren, konnten sie sich nicht an den nötigen Einsatz eines Defibrillators erinnern. Daher müssen wir davon ausgehen, dass dieser wichtige Schritt im Ernstfall ausbleibt“, so Simon Orlob.

Graz auf dem Prüfstand: Neue Wege für den Defibrillator

In Österreich wurden beträchtliche Anstrengungen unternommen, um den öffentlichen Zugang zur Defibrillation zu ermöglichen – angesichts der jüngsten Beobachtungen stellt sich jedoch die Frage, wie Ressourcen besser investiert werden können, damit es im Notfall auch wirklich zur Anwendung eines Defibrillators vor dem Eintreffen der Rettung kommt. „Einfach Defibrillatoren an öffentlichen Orten aufzustellen scheint kein sinnvoller Weg zu sein. So werden die vorhandenen Defibrillatoren derzeit de facto nicht benutzt“, fasst Simon Orlob zusammen. „In einigen Städten gibt es bereits Smartphone-Apps, die Nachbar*innen und Ersthelfer*innen in der Nähe alarmieren mit der Wiederbelebung zu beginnen und darüber hinaus einen Defibrillator zu holen. Die technischen Herausforderungen sind dabei bereits gelöst, jetzt gilt es solche Systeme flächendeckend zu implementieren“, so der Ausblick des Teams.

Initiativen wie der „World Restart a Heart Day“ (Tag der Wiederbelebung) transportieren eine zentrale Botschaft auf globaler Ebene, die sich mit den lokalen Bemühungen überschneidet und diese verstärkt. Dies zeigt sich auch in der großen Medienaufmerksamkeit für das Thema, die wiederum zum Wissenszuwachs in der Öffentlichkeit beiträgt und somit Teilerfolge bringen kann.

>RUFEN >DRÜCKEN >SCHOCKEN: weil jede Minute zählt

Ein Herzstillstand liegt vor, wenn eine Person nicht reagiert und keine normale Atmung hat. Feststellen kann man dies, indem man versucht, die Person durch Schütteln aufzuwecken, und das Ohr über Mund und Nase der Person hält. Auf diese Weise kann man hören und fühlen, ob die Person atmet, zusätzlich kann man sehen, ob sich der Brustkorb mit der Atmung hebt und senkt.

Reagiert die Person nicht und hat keine normale Atmung, dann gilt es, die folgenden Schritte durchzuführen:

  • RUFEN: Rufen Sie den Notruf 144.
  • DRÜCKEN: Drücken Sie kräftig und schnell in die Mitte des Brustkorbs: mindestens 100 Mal pro Minute.
  • SCHOCKEN: Falls ein Defibrillator vorhanden ist, schalten Sie diesen ein und befolgen Sie die Anweisungen.

Weitere Informationen über die Kampagne finden Sie unter: https://www.drueckmich.at

Weitere Informationen und Kontakt:

Dr. Simon Orlob
Klinische Abteilung für Allgemeinen Anästhesiologie, Notfall- und Intensivmedizin 2
Medizinische Universität Graz
Tel.: +43 316 385 81117
simon.orlob@medunigraz.at